"Think Big" oder "Think universal"?

THINK BIG, BIGGER, BIGGEST?

Im Religionsunterricht der fünften Klasse stellte der Lehrer, ein grauhaariger, älterer Herr mit makellosem Erscheinungsbild, die Aufgabe, jeder solle sich einmal gut überlegen, was er später einmal werden wolle und warum er das wolle. 

Anschließend würden die Antworten vorgetragen, diskutiert und vom Lehrer mit einer Note wohlwollend bewertet. 
Alle Schüler machten sich eifrig ans Werk, überlegten, kauten auf den Bleistiftenden herum und machten Notizen.

Aber dieser eine Junge, sehr dünn und schlacksig und viel zu groß für sein Alter und von einer verträumten, melancholischen Aura, war sehr früh fertig und wartete, sich mit großen, unsicheren Blicken umschauend, darauf, dass die zugestandene Zeit abliefe. 

Es wurde in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen, die Ergebnisse vorgetragen und begründet. Es wurden viele Berufe genannt, unter anderem Feuerwehrmann, Krankenschwester, Polizistin, Fabrikant, Ärztin, Mechaniker, Basketballprofi oder Reitlehrerin. Manche mehrfach.

Alle mit mehr oder weniger durchdachten Begründungen. Vom Vorbild der Eltern über Hobbies, Interessen oder Einkommen bis zur Freude an der Hilfe für andere. 
Der Lehrer nannte jeweils nach den Ausführungen die Noten, ausschließlich Zweien oder Dreien.

Der schlacksige Junge war als vorletzter an der Reihe. Beeindruckt und verunsichert von den detaillierten Vorstellungen der anderen Kinder sagte er: 

"Ich weiß einfach nicht, was ich später einmal für einen Beruf haben möchte. Aber wenn ich einmal alt bin, möchte ich weise sein.". 

Die Nachmittagssonne schien durch die Fenster und hüllte den Raum in ein warmes, freundliches Licht in dem kleine Staubkörner tanzten, als er das sagte und sich albern vorkam, dass er für diesen einen Satz nach vorne gegangen war. 

Hohn und Spott, mit denen er schon gerechnet hatte blieben aus. Aber seine Mitschüler machten deutlich klar, dass sie dieses Ergebnis für unzureichend und für Mogelei hielten. Besonders weil der Junge keine weitere Erklärung zu Grund oder Zweck lieferte. Für ihn war mit der Antwort alles gesagt. Sie sprach für sich selbst und enthielt alles Wissenswerte.

Groß war die Verwunderung, als der Lehrer für diese Überlegungen eine glatte Eins verkündete. Bei dem Jungen, wie auch bei den anderen. Was war geschehen? Was hatte ihn dazu bewegt?

Der schlacksige, verträumte Junge hatte mit seiner Aussage instinktiv "JA" zu der Dynamik des Lebens gesagt und ein Ziel genannt, dass allen Widrigkeiten des Lebens trotzen können und immer Bestand haben würde.

Er würde niemals wirklich ankommen, sein Ziel niemals endgültig erreichen, denn wer sich selbst als weise bezeichnet, bestätigt damit, dass er es (noch) nicht ist.

Er hatte am Horizont des Lebens einen Punkt anvisiert, der ihn immer leiten könnte. Und der ihm ermöglichen würde, alles im Leben als Etappenziel auf seiner großen Reise zu verbuchen, ob er es beabsichtigt hatte oder nicht. Aber er hatte sich auch geweigert, sich in irgendeiner Form festzulegen.

Welche Note hättest Du gegeben? 

Bild von John Hain via pixabay

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